Aus der HAZ:
New York. Lou Reed war eine der Pop-Ikonen, die alles durften. Einer, der vieles versuchte, oft scheiterte und ebenso triumphal auferstand. Mehrmals. Seinen Ruf als miesepetriges, die Launen der Popkultur lakonisch reflektierendes Genie bestätigte er mit enormer Verlässlichkeit. Er war humorvoll, er war eine brillanter Zyniker und er war von schonungsloser Offenheit – was vielleicht auch eine Folge seiner jahrelangen Drogensucht war. Ein Totalverweigerer, der unvergessliche Hits wie „Walk On The Wild Side“ oder „Sweet Jane“ schrieb, weil auch das zum Gesamtkunstwerk Pop gehörte. All das werden wir in Zeiten, der es an großen Charakterköpfen und Querulanten fehlt, vermissen. Wie gestern Abend bekannt wurde, ist Lou Reed gestorben. Er wurde 71 Jahre alt. Reed, der mit der Avantgarde-Rockband Velvet Underground und als Solo-Künstler große Erfolge feierte, hatte sich erst im Mai einer Lebertransplantation unterziehen müssen.
Lou Reeds Lebensgeschichte kann jeder auch nur minimal an der Rockgeschichte interessierte Mensch herunterdeklinieren. Der am 2. März 1942 als Lewis Allan Reed geborene Gitarrist und Sänger landete in den Wirren der Flower-Power-Ära in der sogenannten Kunst-Kommune „Factory“ von Pop-Art-Papst Andy Warhol. Mit dem Musikstudenten John Cale gründete er schließlich Velvet Underground, eine der einflussreichsten Rockbands aller Zeiten und in seiner düsteren Grundstimmung der Gegenentwurf zur Musik der „Love & Peace“-Zeit.
Gemeinsam mit der Schlagzeugerin Maureen Tucker, dem Gitarristen Sterling Morrison und der Sängerin Nico gelang das bahnbrechende Album „The Velvet Underground & Nico“, das nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen des Bananen-Coverartworks von Andy Warhol berühmt wurde.
Seine Zeit waren die Sechziger und Siebziger. Als Rebellion und Unangepasstheit zum guten Ton gehörten. Zum guten Ton für Lou Reed gehörte, den Konsumenten auch mit unhörbaren Krach zu schocken. Seine Doppel-LP „Metal Machine Music“ beinhaltete eine auf vier Seiten gestreckte Lärmorgie von undefinierbarer Struktur. Wenig später überraschte er alle mit androgyner Disko-Musik, die den Hit „Walk On The Wild Side“ mit sich zog – noch heute ein gern gespielter Titel in Diskotheken mit Anspruch. Nicht zu fassen, der Mann. Unvorhersehbar zu sein, gehörte bei ihm zur Kulturtaktik. Als die Pop-Musik in den Achtzigern in der Reagan-Ära immer konformer wurde, verblasste Reeds Stimme. Den großen Erfolg überließ er Pop-Chamäleons wie David Bowie.
Das änderte sich erst Anfang der Neunziger. Mit „Songs For Drella“, eingespielt mit John Cale, der Reunion-Tour mit Velvet Underground eroberte er alte Fans zurück. Da blitzte es wieder auf: die Kunst des genialen Straßenzynikers, halb sensibler Kunstmensch, halb Rock’n’Roller der derben Gangart. Sich selbst blieb Lou Reed bis zu seinem Lebensende treu. Zuletzt kollaborierte er 2011 mit der Heavy-Metal-Band Metallica. Das gemeinsame Werk „Lulu“ schied die Geister, wie so oft in Reeds Karriere. Unverwechselbar meinten die einen, unhörbar die anderen. Nur eines war sie nicht: Musik, die ins Museum gehört. Reed starb bevor er alt werden konnte.
Von Bernd Schwope