Hallo,
zum Jubiläum aus der örtlichen Presse:
Der Hit „Rock Around the Clock" machte den Rock 'n` Roll massenkompatibel. Eingespielt wurde der Song vor 70 Jahren, doch eine Fehlentscheidung verhinderte zunächst seinen Erfolg. Der kam erst im zweiten Anlauf - durch einen Zufall.
Von Matthias Halbig:
"We don't care what people say / Rock 'n' Roll is here to stay" sang die Band Danny & the Juniors 1958 trotzig. Das frühe Ende des Rock 'n' Roll, all der provozierenden Heulbojen, hatten die Feuilletons und die Vätergeneration den Rock 'n' Roll-versessenen Teenagern Amerikas schon unmittelbar nach dessen Urknall prophezeit. Nur eine Mode.
„Das bleibt", widersprachen Danny & the Juniors. Der Urknall war 1955 passiert. Der Beat von „Rock Around the Clock" hämmerte am 19. März 1955 zu Richard Brooks' Highschool-Drama „Die Saat der Gewalt", einem Film über rebellische Schüler, aus den Boxen der amerikanischen Kinos. Hollywood war auf der Suche nach einem knalligen Filmlied gewesen, und Peter Ford, Sohn des Hauptdarstellers Glenn Ford, hatte die Haley-Platte, bis dato Regalblei in den Plattenläden, in seiner Sammlung gehabt. Zufall? Schicksal?
Der fiebrige Song mit dem stoßenden Saxofon und der heiseren Stimme Haleys wurde direkt danach 25 Millionen Mal verkauft (bis heute 200 Millionen Mal). Die Jugend fuhr sofort aus der Haut, die spießigen Eisenhower-Zeiten (Adenauer-Zeiten hießen sie in Deutschland) hatten einer Entladung bedurft. Rock 'n' Roll war Sprengstoff in Sound, heiß, hart, unkeusch. Das Wort, das der Discjockey Alan Freed für sich reklamierte, die Soundschmelze aus Country und schnell gespieltem Blues, bedeutete nichts anderes als Sex — sich wiegen und rollen.
Geschrieben hatten Max Freedman und Jimmy DeKnight „Rock around the Clock" bereits Ende 1952, das Copyright stammt vom 31. März 1953. Die Komponisten dachten ursprünglich wohl eher an ein leichtes Swingstück im Pops-Orchestra-Stil jener Zeit und nicht an Uptempo, harte Beats, flirrendes Gitarrensolo und Bläser wie ein Brett.
William John Clifton „Bill" Haley, geboren 1925 in Highland Park, Michigan, hatte den Song angeboten bekommen, nachdem er mit „ Crazy Man Crazy" 1953 einen respektablen Chartserfolg verzeichnet hatte und bis auf Platz 12 vorgestoßen war. Bereits als 15-Jähriger hatte sich der auf dem linken Auge blinde Teenager von zu Hause aufgemacht, mit der Musik sein Brot zu verdienen.
Dass der inzwischen fast 30-Jährige mit der Schmalzlocke der erste weiße Rock 'n' Roll-König werden würde, war eher unwahrscheinlich. In den 1940er-Jahren war er der „ silver yodeling Bill Haley" gewesen, ein überaus talentierter Cowboyjodler. 1952 benannte er seine Begleitband The Saddlemen in Comets um—als Anspielung auf den Halley'schen Kometen.
Die später legendäre Session für Decca Records hatte dabei schon fast ein Jahr vor dem Einsatz als Filmmusik stattgefunden. Am 12. April 1954 spielten Haley und seine Band in den Pythia Temple Studios in New York den Song „ Thirteen Women " ein. Als der im Kasten war, wurden noch schnell zwei Takes von „Rock around the Clock" angefügt, obwohl vor der Studiotür bereits der ungeduldige Entertainer Sammy Davis Jr. wartete.
Über die Musiker der Aufnahme gibt es unterschiedliche Angaben, offiziell waren neben Gitarrist und Sänger Haley die Gitarristen Franny Beecher, Danny Cedrone (E-Gitarre) und Billy Williamson (Steelguitar), der Pianist Johnny Grande, Bassist Marshall Lytle, Schlagzeuger Billy Gussak und Tenorsaxofonist Joey Ambrose im Aufnahmeraum.
Eine allererste Einspielung des Liedes hatten bereits im März Sonny Dae and His Knights vorgenommen. Ihre Version blieb indes so unbeachtet wie die der Comets und der Entscheider im Studio, die „Rock Around the Clock" unverständlicherweise als B-Seite von „Thirteen Women" vergeudeten. Andere Haley-Songs zogen vorbei, im Herbst 1954 beispielsweise standen die Comets mit Big Joe Turners „ Shake, Rattle & Roll" auf Platz 4 in England-der erste Rock 'n' Roll-artige Song in den dortigen Charts. Fast niemand kannte zu diesem Zeitpunkt „Rock Around the Clock". Über Hollywood kam dann das Wunder der Wiederentdeckung. Der Film über eine neue, aufsässige Jugend schlug ein - und am 19. Juli 1955 stand das Stück-jetzt als A-Seite - auf Platz 1 der US-Hitparade. Für sensationelle acht Wochen.
Platz 1 wurde beispielsweise auch in Australien und Großbritannien erreicht. Die ganze Welt von Skandinavien bis Brasilien stimmte ein: „One, two, three o'clock, four o'clock, rock ... ", getanzt wurde akrobatischer als bei Lindy Hop und Boogie Woogie, ein etwas braver Tanzfilm mit Haley, der so hieß wie der Song, entstand 1956. Bis heute sind mehr als 10 000 Coverversionen bekannt, ihre Interpreten reichen von John Lennon bis John Legend. Die Musikkritik und -wissenschaft haben andere Geburtsdaten des Rock 'n' Roll ausgemacht, die bis in die Vierzigerjahre zurückreichen, wo es ähnliche Stilfusionen gab, Hank Williams' „Move It On Over" von 1947 etwa (dessen Strophen eine ähnliche Melodie wie „Rock Around the Clock" haben) oder „Rocket 88" von Ike Turners Delta Cats aus dem März 1951 (das im Juni jenes Jahres auch von Haleys Saddlemen aufgenommen worden war). Und für viele gilt bis heute Elvis Presleys erster Studiobesuch im Juli 1954 bei Sun Records in Memphis als eigentliche Stunde null der Rockmusik.
Der Junge aus Tupelo/Mississippi brauchte aber noch bis 1956, bevor er mit „Heartbreak Hotel' den damals 31-jährigen Haley als ersten Rock 'n' Roll-Superstar ablöste. Presley sah attraktiv aus, er war jünger, wilder, seine Stimme klang sinnlicher, schwärzer, und seine kreisenden Hüften waren Wollust in Hosen. Wenn Elvis in „Heartbreak Hotel" sang, „I feel so lonely, I could die ... ", waren Heerscharen weiblicher Teenager prinzipiell bereit, das Schlimmste zu verhindern. Bill Haley und seine Band dagegen waren nie wieder so druckvoll wie bei „Rock Around the Clock" und als-bald abgemeldet: See you later, Alligator!
Immerhin: Der Ruhm des ersten, der den amerikanischen Rock 'n' Roll live nach Deutschland brachte, gebührt ihm dennoch. Am 23. Oktober 1958 starteten die Comets ihre Tour mit zwei halbstündigen Auftritten in Frankfurt und Wiesbaden, Höhepunkt der Shows kurz vor der Zugabe: „Rock Around the Clock" . Was zu Hause in den USA schon wieder ein Oldie war, sorgte in der alten Welt noch einmal für Euphorie. Und für Kleinholz.
Nach dem Auftritt in Berlin samt Saalschlacht mit zertrümmerten Sitzreihen und zerstörter Soundan-lage (50 000 Mark Schaden) wurden im Sportpalast sicherheitshalber erst mal auch harmlose Jazzkonzerte abgesagt. Die Medien schrieben vom „Hexensabbat" und „Die Zeit" empfahl Isolation, Kaltwassergüsse und Prügel für die tanzwütige Jugend. Der bieder wirkende (und fassungslose) Haley galt jetzt als „ Massenaufpeitscher" . Und die feindselige Schlagzeile in der „Bild"-Zeitung lautete: „Nie wieder Rock 'n' Roll im Sportpalast!"
Es kam bekanntlich anders, auch wenn es schon im Frühjahr 1960 schlecht zu stehen schien um den Rock 'n' Roll: Elvis war gerade zurück vom Militärdienst in Deutschland (und machte künftig haupt-sächlich Filmschlager), Buddy Holly und Eddie Cochran waren tot, Little Richard erleuchtet, Chuck Berry stand wegen Sex mit einer Minderjährigen vor einem Prozess (und einer dreijährigen Haftstrafe) und der explosive Jerry Lee Lewis verkaufte weltweit nicht mehr gut, weil der „Kinderräuber" eine 13-jährige Verwandte geheiratet hatte. Als dann aber Ende 1962 die Beatles auf den Plan traten, war der Geist nicht mehr in die Flasche zu kriegen.
Danny & the Juniors hatten recht behalten: Rock 'n' Roll blieb. Und ist auch heute noch da. Freilich nicht mehr im Sportpalast. Der wurde 1973 mit der Abrissbirne gerockt.
Gruß
Heino